26 Januar 2021

Gedanken über die Spaltung der Gesellschaft

In allen Medien wird darüber berichtet, dass Corona die Gesellschaft spaltet. Allerdings ist das nicht erst seit der Pandemie der Fall. Schon früher gab es immer wieder Tendenzen, die Gesellschaft in verschiedene sich verfeindete Gruppen aufzuteilen. Das beste Beispiel ist das Jahr 2015, als eine große Anzahl von Flüchtlingen zu uns kam. Damals bildete sich ein Riss der quer durch alle Schichten ging.

Ich war damals in der Flüchtlingshilfe (ich nutze diesen Begriff der Einfachheit halber, obwohl er nicht ganz korrekt ist) aktiv, bin es auch heute noch. 2014, als ich anfing mich zu engagieren, war die Öffentlichkeit zu diesem Thema noch „unaufgeregt“. Es gab zwar vereinzelte Stimmen, die ihren Missmut äußerten, aber alles in allem wurde die Lage in den Medien nur am Rande erwähnt. Erst im Sommer und Herbst 2015 kochten dann die Emotionen hoch. Zum einen ging Anfang September ein Bild um die Welt von einer Kinderleiche, die an den Strand gespült wurde. Und wenige Tage später wurde die Einreise für eine Vielzahl von Flüchtlingen genehmigt. Sie hatten sich auf den Weg nach Österreich und Deutschland gemacht, nachdem sie vorher unter katastrophalen Bedingungen im Bahnhof von Budapest gewartet hatten.

Die anfängliche Willkommens-Euphorie legte sich spätestens nach der Silvesternacht 2015 in Köln. Nun traten auch Meinungen an die Öffentlichkeit, die den Flüchtlingskurs der Kanzlerin hart kritisierten. Regierungspolitiker und die meisten klassischen Medien gingen sehr schnell dazu über, allen „Widersachern“ den Stempel rechtsradikal aufzudrücken. Selbst dann, wenn die Äußerungen weder Fremdenhass noch Rassismus erkennen ließen. Die Gegenseite schlug nicht weniger lautstark zurück und ein Riss tat sich auf. Er ging sogar teilweise durch die Familien. Die Medien und die Politiker befeuerten ihn durch Äußerungen immer weiter. Vor allem die noch junge AfD nutzte die Gelegenheit, sich zu profilieren. Sie schlug sich auf die Seite der Kritiker. Dieser Schachzug war sicher einer der Gründe, weshalb sie bei den letzten Wahlen in die Länderparlamente und in den Bundestag gewählt wurde. Den Preis, den sie dafür bezahlen musste, war, dass sich immer mehr Mitglieder mit klar rechter Gesinnung in ihr sammelten. Die Anfeindungen gingen munter weiter. Befürworter der Flüchtlingspolitik wurden von ihren Gegnern als Gutmenschen bezeichnet. Diese wiederum beschimpfte man als rechtes Gesocks.

Ich kann mich noch gut an eine Diskussion in einem Forum erinnern, wo eigentlich eher Kuchenrezepte ausgetauscht werden. Eine Frau schrieb in einem Nebensatz, sie habe Ängste, weil in ihrer Nachbarschaft Flüchtlinge untergebracht worden waren. Da wären abends nur noch junge ausländische Männer unterwegs. Sie traue sich gar nicht mehr auf die Straße. Es entbrannte ein Shitstorm auf die Schreiberin. Ihr wurde alles Mögliche vorgeworfen, Rechtsradikalismus, Fremdenhass, Rassismus. Derbste Beschimpfungen, die ich hier gar nicht wiedergeben möchte.  Entgegen meiner sonstigen Angewohnheit, mich in solche Diskussionen nicht einzumischen, tat ich es mit der Frage, wer von den Aufgebrachten denn selbst in der Flüchtlingshilfe aktiv wäre. – Keine Zeit. Würde ja gerne, geht aber nicht. Zuviel zu tun. – Kurz gesagt: Keiner war in diesem Bereich tätig. Ich outete mich dann als ehrenamtlicher Mitarbeiter in der Flüchtlingshilfe. Damit war die Sache geklärt und ich wendete mich an die Frau mit den Ängsten. Sie hatte auf mich durchaus nicht den Eindruck gemacht, als sei sie generell fremdenfeindlich. Also schlug ich ihr vor, doch einfach mal zu der Unterkunft zu gehen und sich als Nachbarin vorzustellen. Die persönliche Begegnung hilft in den meisten Fällen, Vorurteile und Ängste abzubauen. Es ist ein großer Unterschied, ob man den „Flüchtlingsstrom“ sieht oder die einzelnen Menschen, die ihn bilden. Wie die Geschichte mit der Frau weiterging, weiß ich nicht. Aber diese Begebenheit machte mich nachdenklich. Warum diese Anfeindung, warum diese Spaltung?

Vereinfacht gesagt, gibt es zwei Arten von Menschen. Die einen breiten ihre Arme aus und empfangen Leute, die sie nicht kennen. Die anderen sind zurückhaltend, vorsichtig und misstrauisch. Es wäre ein Fehler, zu sagen, das eine sei richtig, das andere falsch. Jemand, der einem Fremden offen begegnet, kann neue Freunde gewinnen, aber auch auf die Nase fallen, wenn der andere keine guten Absichten hat. Genauso kann jemand, der dem anderen mit Misstrauen begegnet, durch sein Verhalten überhaupt erst negative Reaktionen auslösen. Vielleicht erkennt und verhindert er aber auch Gefahren, wenn der Unbekannte nichts Gutes im Schilde führt. Wie dem auch sei, beide Verhaltensweisen sind in unserer Gesellschaft vorhanden und sollten in einer Demokratie auch eine Stimme haben. Die Grenze ist da, wo Fanatismus die Vernunft ersetzt.

So geschehen 2015. Und dieser Fanatismus wurde von Politikern beider Seiten aber auch von den Medien massiv befeuert. Die Gründe der einen Seite mögen ehrenhaft erscheinen. Es geht um die deutsche Geschichte, um die deutsche Schuld. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit lief in der Vergangenheit gehörig aus dem Ruder. So gesehen, war es verständlich, jegliche Anflüge von Fremdenfeindlichkeit im Keim ersticken zu wollen. Nur ist eine sachliche Kritik an der damaligen Politik gleich Fremdenhass? Ähnliche Fragen:

Ist die Kritik an der Politik Israels gleich Antisemitismus? Ist Kritik an der amerikanischen Regierung gleich Antiamerikanismus? Dann wäre die Kritik an Frau Merkel auch anti-deutsch.

Mir kam es eher so vor, als wurde diese Spaltung bewusst vorangetrieben. Dem Ganzen wurde ein Gut-Böse-Schema übergestülpt. Die Guten waren die weltoffenen Bürger, die Flüchtlinge begrüßten. Die Bösen waren die Kritiker an der Regierungspolitik. Und es bedarf nur einer unbedachten Bemerkung, um aus dem Lager der Guten herauszufliegen. Alle machten mit und ließen sich in dieses Schema pressen. Alle hetzten kräftig gegeneinander.

Es schien, als seien die beiden Seiten unvereinbar. Und doch hätte man eine gemeinsame Grundlage finden können. Dazu hätte man sich aber von der politischen und medialen Meinungsmache lösen müssen. In einem Punkt waren nämlich beide Seiten ziemlich nahe beieinander. Beide wollten, dass die Fluchtursachen bekämpft werden. Wir Helfer der Flüchtlinge wussten aus Gesprächen, wie sehr sie unter Heimweh litten, wie gerne sie in ihrer Heimat geblieben wären. Die wenigsten kamen freiwillig. Viele waren in den ersten Wochen und Monaten nach der Anfangseuphorie depressiv und sehnten sich nach ihren zurückgelassenen Familien. Auch die Kritiker wollten, dass die Fluchtursachen bekämpft werden. Auf dieser gemeinsamen Ebene hätte ein Dialog stattfinden können. Aber war das politisch gewollt? Man hätte sich zu der aggressiven amerikanischen Außenpolitik kritisch äußern müssen. Man hätte die Frage der Sinnhaftigkeit der Nato-Einsätze stellen müssen. Man hätte sich für die Flüchtlinge in den syriennahen Lagern einsetzen müssen. Man hätte über die toxische europäische Afrikapolitik nachdenken müssen. Welcher Politiker, welcher Regierende unternahm jemals einen Schritt in diese Richtung? Man muss sich nur die momentane Situation der Flüchtlinge in Griechenland anschauen, um zu erkennen wie unwichtig diese Menschen – allen Sonntagsreden zum Trotz – für unsere Staatsmänner sind. Corona kommt da wie gerufen, um von den anderen Problemen abzulenken.

Und heute? Richtig, man geht wieder auf die gleiche Weise vor, wie damals bei den Flüchtlingen. Es gibt die Guten, die andere schützen wollen, sich einsperren, Maske tragen und gehorsam sind. Und da sind die Bösen, die ständig von Freiheit schwafeln, die sich nicht an die Regeln halten wollen, die Beweise für die Wirksamkeit der Maßnahmen verlangen. Und wie gehabt, sind es wieder die Medien und die Politiker, die diese Anfeindungen befeuern. Im Grunde ist das Ganze die Wiederholung des gleichen Schemas. Nur eben mit katastrophaleren Folgen.


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Verfasst 26. Januar 2021 von Simon in category "Meinung", "Neue Normalität

1 COMMENTS :

  1. By Fred Lang on

    Danke für diese absolut zutreffende Analyse! Ich unterschreibe jeden Satz darin. Man sollte allerdings die Hoffnung nicht aufgeben, dass sich in absehbarer Zukunft vielleicht doch noch eine Wende – hin zur Vernunft – abzeichnet.

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