Haben Sie Schmerzen?

Herr Karl, ein Herr, weit über Achtzig – also einer von der „harten“ Generation – war früher Schreiner gewesen. Als er zu uns kam, lag er nur im Bett. Wir wollten ihn gerne dazu bringen, sich in den Rollstuhl zu setzen. Für die meisten Menschen bedeutet es einen Zuwachs an Lebensqualität, wenn sie nicht nur an die Decke starren. Also mobilisierte ich ihn nach der Körperpflege erst einmal an den Bettrand, um zu schauen, wie stabil er sitzen kann. Beim Aufrichten verzog er das Gesicht. 

„Haben Sie Schmerzen?“, fragte ich.

„Nein“, antwortete er.

„Wollen Sie sich in den Rollstuhl setzen?“

„Nein.“

Er legte sich dann auch gleich wieder hin.

Am nächsten Tag das gleiche Bild. Beim Aufsetzen verzerrte er das Gesicht. Ich beriet mich mit meinen Kolleginnen, die das gleiche beobachtet hatten, wenn sie ihn bewegten. Und immer verneinte er, wenn man ihn nach Schmerzen fragte. Wir waren ratlos. 

Es war am dritten oder vierten Tag, an dem ich ihn versorgte, als wieder das gleiche Spiel losging, in dem Moment, als er sich aufsetzte.

„Haben Sie wirklich keine Schmerzen?“, fragte ich.

„Nein.“

Aber ich ließ nicht locker.

„Tut Ihnen etwas weh?“, fragte ich.

Er schaute mich an:

„Ob mir etwas weh tut? Frag nicht! Alles tut mir weh. Da und da und da“, er deutete auf verschiedene Körperstellen. Ein wenig überrascht von seiner Antwort, fragte ich weiter:

„Soll ich Ihnen etwas dagegen geben?“

„Ja, wenn du etwas hast?“

Ich holte ihm ein Schmerzmittel und am nächsten Tag klappte das Setzen an die Bettkante so gut, dass er bereit war, sich in den Rollstuhl zu setzen. Einige Tage später fuhr er sogar selbst ins Wohnzimmer, um dort die Mahlzeiten einzunehmen. 

Mir ist bis heute nicht klar, warum er die Frage nach Schmerzen offenbar nicht verstand. Die Lehre, die ich daraus zog: Man sollte keine vorgestanzten Sätze verwenden, sondern bei den Formulierungen von Fragen immer etwas flexibel sein.