8 Februar 2020

Glück im Lotto – ich habe nichts gewonnen! (10)

Samstagabend. Kurz vor der Tagesschau. Ich sitze auf dem Sofa. Schatz sitzt neben mir. Ich vergleiche die Zahlen. Der Atem stockt. Wieder eine meiner Zahlen und noch eine und noch eine. Ich mache Kringel um die richtigen Tipps. Und dann – ja dann sind alle eingekringelt. Jetzt weiß ich es: Ich bin Millionär. Schatz rennt in die Küche und holt Sekt. Es wird gefeiert.

Wir überlegen, was wir mit dem Geld anfangen werden. Die meisten unserer Wünsche, werden sich wahrscheinlich mit einem Bruchteil des Geldes erfüllen lassen. Schlaflose Nacht. Schatz faselt ständig etwas von einer Weltreise. Ich möchte erst einmal so weiterleben wie bisher. Dann merkt auch niemand, dass wir reich sind. Ganz normal zur Arbeit gehen. Schatz meint, das sei Schwachsinn. Sie wolle sich nicht weiter abrackern. Mal sehen, sage ich und dreh mich auf die andere Seite. Der Sonntag vergeht wie im Fieber. Wir feiern, wir streiten, wir giften uns an. Schatz ist einfach unmöglich.

Montagmorgen – wir haben uns freigenommen – kommt ein Herr von der Lottozentrale und macht Vorschläge, was wir mit unserem Geld anfangen soll. Es sind fünf Millionen Euro, teilt er uns mit. Ich kann die Zahl nicht fassen. Fünf Millionen! Er erzählt uns viele Dinge über Geldanlage, Risiken, Immobilien und Aktien. Doch wir sind wie paralysiert von der Geldsumme. Deshalb sind wir beide froh, als er weg ist. Dass uns der Betrag die nächsten Tage überwiesen wird, können wir gerade noch so aufschnappen. Fünf Millionen. Ein seltsames Gefühl durchströmt mich. Ich kann jetzt alles machen, was ich jemals wollte. Ich beschließe nun doch, meinen Job zu kündigen. Schatz hat es schon getan. Wir wollen unser Leben genießen, nehmen wir uns fest vor.

Fristlose Kündigung geht nicht, sagt mir die Tante vom Personalbüro. Aber sie erkundigt sich, ob wir einen Auflösungsvertrag machen können. Die werden doch wohl nicht verlangen, dass ich auch nur einen Tag länger in diesem Saftladen arbeite? Am späten Nachmittag ruft sie zurück und sagt mir, wir könnten das Arbeitsverhältnis im gegenseitigen Einvernehmen beenden. Allzu wichtig scheine ich für die Firma nicht gewesen zu sein. Egal!

Der Arbeitgeber von Schatz ist weniger einsichtig. Sie meldet sich schließlich krank.

Donnerstag kommt unser Geld. Ich beschließe, mir einen Sportwagen zu kaufen. Schatz findet das dämlich. Wir streiten. Sie möchte eine Limousine. Eigentlich könnten wir uns beides leisten. Aber vielleicht wäre es besser, sich erst einmal ein Haus zuzulegen. Man muss die Autos ja auch irgendwo unterstellen. Hier bei uns auf der Straße, geht das kaum. Außerdem kommen dann die Nachbarn vielleicht auf den Trichter. Also erst einmal ein Haus suchen.

Mit Schatz läuft es immer schlechter. Sie sagt, ich denke nur noch an Geld. Zwei Wochen später zieht sie aus. Der Anwalt fordert die Hälfte des Gewinns. Ich stimme zu. Mir bleiben immer noch zweieinhalb Millionen. Wenigstens keine Streitereien mehr.

Ich möchte jetzt möglichst schnell ein Haus finden. Im Maklerbüro gebe ich meine Wünsche an. Man bietet mir drei Häuser in der Preisklasse von jeweils einer oder anderthalb Millionen. Besichtigung am nächsten Tag.

Das zweite Haus, dass ich mir betrachte gefällt mir am besten. Es hat ein viertausend Quadratmeter großes Grundstück mit alten Baumbeständen. Gut, es ist eine schöne alte Villa, die man innen noch etwas renovieren muss. Aber ich kenne mich mit so etwas aus und es macht mir Spaß, selbst ein wenig zu werkeln. Habe ja nun genug Zeit dafür. Jetzt endlich zum Autohändler. Er schwatzt mir für die Stadt einen Elektrowagen auf und ansonsten einen tollen Mercedes SLK. Zusammen hundertdreißigtausend Euro.

Nach der Trennung von Schatz, fühle ich mich ein bisschen einsam. Also beschließe ich, mal wieder alte Freunde zu treffen. Ich rufe Andi an. Wir verabreden uns für den nächsten Tag. Wir haben immer davon geträumt einmal in den Gourmet-Palast zu gehen. Ein Mineralwasser acht Euro. Heute ist es endlich so weit. Ich lade ihn ein. Wieso so ein teures Lokal, möchte er wissen. Er fragt mich, ob ich im Lotto gewonnen hätte. Ich kann ihn nicht anlügen. Also erzähle ich es ihm. Toll, sagt er. Ich schlage vor, nachher noch in ein Bordell zu gehen. Will er nicht, weil er verheiratet ist. Ob Schatz nichts dagegen hätte, fragt er. Wir haben uns getrennt, sage ich. Schade, sagt er.

Ich habe nun doch beschlossen, mein Haus von einer Firma renovieren zu lassen. Da gibt es Garantie und außerdem muss ich mich darum kümmern, wie ich den Rest des Geldes anlege. Irgendwie bereue ich nun, dem Lottotypen nicht richtig zugehört zu haben.

Abends ruft mich Silke an. Sie sagt, sie habe mit Andi gesprochen und möchte sich gerne mit mir treffen. Wir kennen uns schon lange. Sie ist eine Kollegin von ihm. Nicht übel, auch wenn sie nicht mehr ganz jung ist. Ich sage ihr für übermorgen zu. Morgen habe ich erst einmal einen Termin bei einem Anlageberater. Bernd hat ihn mir empfohlen. Der arbeitet bei einer Bank und kennt sich mit solchen Dingen bestimmt gut aus.

Immobilien bringen eine gute Rendite und sind sicher, sagt mir der Vermögensberater. Ich investiere eine Million. Er rechnet mir dafür einen jährlichen Zinsgewinn von einhundertausend Euro. Oh Mann! Für diese Million kaufe ich mir ein Mietshaus in Berlin. Die Mieter dort haben langfristige Verträge. Er zeigt mir Prospekte. Nach Berlin reisen, bräuchte ich nicht, sagt er. Die Anlage sei absolut seriös.

Am nächsten Morgen fahre ich zum Autohändler und hole den SLK ab. Das Elektroauto ist noch nicht da. Mein neues Haus wird von einem Architekten begutachtet. Er plant die Renovierung. Einhundertzwanzigtausend soll sie kosten. Kein Problem! Schließlich soll sauber gearbeitet werden.

Der Abend mit Silke läuft gut. Ich wusste gar nicht, dass sie mich so sehr mag. Wir landen bei ihr im Bett.

Ich bin zufrieden. Alles entwickelt sich gut. Mein Haus ist nach zwei Monaten fertig. Ich bekomme das bestellte Elektroauto. Der Kaufvertrag für mein Mietshaus ist unterschrieben. Mit Silke hat sich weiter nichts getan. Wie ich gehört habe, hat sich Schatz einen jungen Mann geangelt. Macht mir ein wenig Bauchschmerzen. Bis ich Lisa-Maria kennenlerne. Sie ist Ende Zwanzig und wir heiraten einen Monat später. Dann gehen wir auf Reisen.

Im Herbst des darauffolgenden Jahres erreicht mich eine Nachricht. Es gibt Probleme mit dem Mietshaus. Es kommen keine Mieten herein. Das ist mir bisher gar nicht aufgefallen. Ich beschließe, mir mein Projekt endlich einmal selbst anzusehen. Als ich ankomme, kann ich es kaum glauben. Das Haus ist eine Ruine. Verwahrlostes Treppenhaus, defekte Rohre, schimmelige Wohnungen und stinkende Keller. Jetzt weiß ich auch, warum ich keine Miete erhalte. Es gibt keine Mieter. Ich wurde hereingelegt. Das lasse ich natürlich nicht auf mir sitzen. Ich gehe vor Gericht. Doch der Anlageberater hat sich mit dem Verkäufer der Immobilie ins Ausland abgesetzt. Jetzt kommen auch noch Klagen auf mich zu, weil sich auf dem Gelände des Mietshauses ein Kind durch ein herabfallendes Balkongeländer verletzt hat. Ich hätte das Grundstück absichern müssen.

Aber das war noch nicht alles. Man findet den Verkäufer meines Hauses. Er hat einen riesigen Berg an Schulden angehäuft und alles für sein Luxusleben verschleudert. Große Schlagzeile in der Zeitung und sogar ein Bericht in der Tagesschau. Mir wird klar, dass meine Investition futsch ist.

Dann auch noch der ständige Ärger mit Lisa-Maria. Das ist schlimmer als mit Schatz. Bis Ende des Jahres habe ich fünf Gerichtsverfahren und meine zweite Scheidung am Hals. Das nächste Jahr wird der reine Horror. Mit Hängen und Würgen komme ich aus der Schadensersatzklage des verletzten Kindes heraus. Aber in meiner Villa zeigen sich massive Bauschäden. Es wird klar, dass bei der Renovierung gepfuscht wurde. Erneut ziehe ich vor den Kadi. Die Firma wurde wegen der Beschäftigung von Schwarzarbeitern abgewickelt. Nichts mehr zu holen. Wegen Wasserschäden und Problemen mit der Statik muss ich schließlich in eine Wohnung ausweichen. Man eröffnet mir, dass es eine Million Euro kosten wird, das Haus instand zu setzen. So viel Geld habe ich nicht mehr. Ich verkaufe es schließlich für sechzigtausend Euro. Gerade genug Geld, um die Schäden zu zahlen, die durch den Einsturz meines maroden Mietshauses entstanden sind.

Als ich in der angespannten Situation auch noch einen Unfall verursache, gibt mir das den Rest. Ich muss wieder arbeiten gehen. Inzwischen habe ich einhundertsechzigtausend Euro Schulden und es sind noch zwei Gerichtsverfahren in Gange.

Ich schrecke auf, finde mich auf meinem Sofa vor dem Fernseher wieder. Schatz liegt an mich angelehnt und schnarcht. Alles nur geträumt! Und die Lottozahlen? – Gott sei Dank – ich habe den Jackpot nicht geknackt!



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Verfasst 8. Februar 2020 von Simon in category "Satire", "Synapsenakrobatik

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