Lockdown-Lust
Lasst uns einen Lockdown machen! Einen richtig harten Lockdown! Einen Lockdown wie ihn die Welt noch nie gesehen hat!
Weg mit den jammernden Gastronomen. Sollen sie doch anders ihr Geld verdienen. Wir haben inzwischen alle Kochen gelernt. Und die, die das immer noch nicht können, sollen die sich doch ihr Essen beim Lieferdienst bestellen.
Weg mit den Kleider- und Schuhgeschäften. Es lebe die Jogginghose. Es lebe der Sportschuh vom Discounter. Mode war gestern, heute ist Minimalismus.
Weg mit den überfüllten Fußgängerzonen. Wer braucht denn so was?
Weg mit den Pseudostatistikern, die uns vorrechnen wollen, ein Lockdown hätte keinen Einfluss auf die Pandemie. Wir wissen es besser. Es geht hier nicht um Zahlen. Es geht um die Lust, die Lust an der Katastrophe, die Lust am Leiden.
Und die Künstler? Die lieben den Lockdown. Oder habt ihr etwa Gegenteiliges gehört? Vielleicht von ein paar Querulanten. Aber die sind eh Vergangenheit.
Ein harter Lockdown, ein wirklich harter Lockdown muss her. Keine Autos auf der Straße. Nur der DHL-Laster, welcher leise brummend das Vogelgezwitscher übertönend, durch die leeren Gassen rollt. Der Kombi vom Italiener an der Ecke, der vollgepackt mit Warmhalteboxen vorbeirauscht. Die Nachbarin, die kurz mit ihrem Schoßhündchen vor die Tür geht, nur 500 Meter weit, damit der Kleine am Baum sein Geschäft machen kann. Ruhe auf dem Spielplatz, keine lachenden, schreienden Kinder.
Was muss man mit einem Spaziergang die Natur verseuchen? Es reicht doch ein Blick aus dem Fenster. Ein Blick auf das Bäumchen am Straßenrand. Keiner da? Dann drucke dir ein Bild vom Wald aus. Wer reisen will, schaltet den Fernseher an. Wer Natur will, schaltet den Fernseher an. Wer arbeiten will, schaltet den Computer an. Wer shoppen will, wischt auf seinem Tablet herum. Die Welt ist so herrlich einfach.
Meine Freundschaften sind jetzt zweidimensional. Dank Facebook, Twitter, WhatsApp und wie sie alle heißen. Meine Gespräche sind jetzt digital. Wir tauschen Rezepte aus, prosten uns beim Videochat zu. Ich sehe von Freunden nur noch das, was sie mir auch wirklich zeigen wollen. Sie sehen von mir nur noch das, was ich ihnen zeigen will.
Ein harter Lockdown muss her! Für eine Woche. Für einen Monat. Für ein Jahr. Für immer!