24 Dezember 2019

Weihnachten mit Sauerkrautpizza (7)

Heiligabend, später Nachmittag. Ich liege auf dem Sofa und schaue Drei Haselnüsse für Aschenbrödel im Fernsehen. Schatz kommt aus der Küche, wo sie das Essen für den Abend vorbereitet. Sie streicht mir mit der Hand über den Kopf. Dann küsst sie mich. Ich richte mich auf und wir umarmen uns. Verwirrt blicke ich sie an. Sie scheint meine Gedanken zu lesen.

Heute ist Weihnachten, das Fest der Liebe, sagt sie mit sanfter Stimme und küsst mich erneut. Dann blickt sie mich wieder an und ruft: Könntest du mir helfen? Sie ruft? Warum ruft sie? Sie sitzt doch neben mir. Irgendetwas stimmt da nicht. 

Hey, ihre Stimme klingt schrill. Ich schrecke hoch. Tatsächlich liege ich auf dem Sofa, aber Schatz ist nicht da. 

Könntest du mir mal helfen?, ruft sie aus der Küche

Was?, rufe ich zurück noch ganz verwirrt von meinem Traum. 

Könntest du mir bitte mal helfen. Ihre Stimme hat nun einen leicht aggressiven Unterton. Ich möchte das harmonische Gefühl nicht zerstören, das mich immer noch durchströmt und gehe in die Küche. 

Totales Chaos. Töpfe stehen da, aufgerissene Plastikpackungen, Teller, Schneidebretter. Schatz steht inmitten all dieser Dinge, leicht zerzauste Haare, mürrischer Blick.

Was gibt’s?, frage ich.

Du könntest dich ruhig ein bisschen mehr engagieren. Schließlich sind es deine Eltern, die zu Besuch kommen.

Die du eingeladen hast, ergänze ich.

Was soll ich denn machen, wenn deine Mutter mich ständig volljammert, es wäre so trostlos, Weihnachten zu zweit zu feiern.

Das muss man auch mal aushalten können.

Weißt du, dass sie wieder davon angefangen hat, wann wir endlich Kinder kriegen.

Ja, so ist sie. 

Kannst du mal die Sahne aufschlagen? 

Womit denn?

Vor dir steht eine große Küchenmaschine. Warum stellst du dich immer so blöd an, an Weihnachten?

So lange es nur an Weihnachten ist, sage ich und grinse. Sie drückt mir mit düsterem Blick den Tetrapack Sahne in die Hand. Ich schütte alles in die Schüssel und stelle die Rührmaschine auf höchste Stufe. Wie ein Regen spritzt die Sahne in der Küche herum. Ich drücke schnell auf Aus.

Was machst du denn?, giftet mich Schatz an. Ach, dieser Traum… denke ich. 

Du hast gesagt, ich solle die Sahne aufschlagen, verteidige ich mich.

Ja aufschlagen, nicht im ganzen Raum verteilen. Man muss den Deckel draufmachen, bevor man die Maschine anstellt – siehst du, so.

Ich bin nicht so gut, in der Küche, geht mir durch den Kopf. Eben kommt Taliban herein und leckt erfreut die Sahnespritzer am Boden ab.

Du bist ein Pascha, sitzt am liebsten auf dem Sofa und lässt dich bedienen. Moderne Männer kochen selbst und helfen im Haushalt mit. Und du kannst noch nicht einmal Sahne aufschlagen.

Ich bringe doch regelmäßig den Müll runter.

Ja, aber nur, weil die weiblichen Comedians im Fernsehen immer  Witze darüber machen, dass ihre Männer nicht einmal den Müll runterbringen. Das ist wirklich kein Zeichen für Emanzipation, glaub mir. 

Schatz schaltet die Küchenmaschine an und schlägt die Sahne. 

Brauchst du mich noch, frage ich vorsichtig.

Ja, murrt sie, du packst den Lachs aus und richtest ihn auf dem Teller an. Kriegst du das hin?

Klar. Ich hole aus dem Kühlschrank die Packungen mit Lachs heraus. Als ich sie öffne, kommt mir ein unangenehmer Geruch entgegen.

Schatz, ist das normal, dass Lachs graue Stellen hat.

Was?, ruft sie entsetzt, zeig her.

Ich gebe ihr die Packung. Sie schaut sich den Fisch an, riecht daran und sagt:

So ein Mist, der ist schlecht. Den können wir unmöglich servieren. Sonst landen wir alle wegen Fischvergiftung im Krankenhaus. Was sollen wir jetzt machen? Deine Eltern kommen in zwei Stunden. 

Vielleicht auch später. Auf der Autobahn ist immer Stau.

Egal, wir müssen ihnen doch etwas zu Essen anbieten. Was soll ich nur machen? 

Haben wir nichts anderes da? 

Nein. Morgen gibt es Gänsebrust, aber die ist noch gefroren und übermorgen sind wir bei meinen Eltern eingeladen. Weiter habe ich nichts gekauft. 

Ich zucke die Achseln.

Wir brauchen Lachs, murmelt sie.

Die Geschäfte haben schon zu.

Vielleicht haben die Tankstellen ja noch offen.

Ich hätte lieber auf dem Sofa weitergeträumt, aber Schatz besteht darauf, dass ich mitfahre. 

Draußen ist es schon dunkel. Es dauert eine halbe Stunde, bis wir eine kleine Tankstelle finden, die noch offen hat. Wir stürmen hinein und durchsuchen den Laden. Nur Knabberzeug und Süßkram.

Wir können deinen Eltern wohl kaum Erdnüsse an Heilig Abend anbieten, sagt Schatz, als wir wieder zum Wagen gehen.

Lass uns doch etwas aus einem Restaurant holen, schlage ich vor. 

Dein bester Vorschlag seit langem, antwortet sie. Ich bekomme Gänsehaut. Ich bekomme immer Gänsehaut, wenn sie mich lobt. Wir fahren in die Stadt. Da sieht es schlecht aus. Nur die bekannten Schmuddelläden haben offen. Das können wir meinen Eltern nicht anbieten, meint Schatz. Also fahren wir in die nächst größere Stadt. Endlich mal keinen Stau, sage ich und fahre durch die fast leeren Straßen.

Wir sollten deinen Eltern Bescheid sagen, dass wir nicht zu Hause sind und sie vielleicht vor der Tür warten müssen. Oh Mann, ich bin weder ordentlich angezogen, noch habe ich das Chaos in der Küche beseitigt. Deine Mutter wird mich für eine Schlampe halten.

Das tut sie sowieso, sage ich.

Was?

Sie hält alle Frauen, die mit mir zusammen sind, für Schlampen. Musst du nicht persönlich nehmen.

Na danke. Hast du dein Handy mit?

Ich greife in die Jackentasche. 

Nein, sage ich, wir sind so überstürzt aufgebrochen, da habe ich vergessen es einzustecken.

Ich rufe sie an, sagt Schatz. Sie wühlt ihr Smartphone aus der Handtasche und sucht die Nummer meiner Eltern heraus. Dann ruft sie an. Doch gleich darauf flucht sie. 

Was ist?, erkundige ich mich.

Blöde Weihnachten, blöde Weihnachten. Das von heute werde ich nie vergessen.

Was ist passiert?

Der Akku ist alle.

Nein.

Doch!

Wir schweigen beide. Dann stößt mich Schatz an.

Schau mal da drüben, der Laden scheint offen zu haben.

Und wirklich ist dort ein Restaurant, dessen Schild in den dunklen Straßen leuchtet, wie der Stern von Betlehem. Wir steigen aus und gehen hinein. Kein Mensch sitzt drinnen. Der Mann hinter der Theke schaut uns überrascht an. Wir erbitten die Speisekarte. Er gibt sie uns. Es  ist eine deutsch-italienisch-griechisch-chinesische Küche. 

Gyros mit Reisnudeln?, flüstere ich Schatz zu. 

Immer noch besser als Sauerkrautpizza, oder?, flüstert sie zurück. 

Am wenigsten exotisch erscheint uns gebratene Nudeln mit Gemüse, Hühnerbrust und Tomatensoße. Wir bestellen vier Portionen zum Mitnehmen. Immer noch kein Schwein in diesem Restaurant.

Es ist Weihnachten, versucht Schatz meine Zweifel zu beseitigen.

Schließlich, nach zwanzig Minuten, ist das Essen fertig. Wir packen es in den Wagen und fahren Richtung Heimat. Einige Minuten sitzen wir still nebeneinander. Dann sagt Schatz. 

Das riecht ziemlich stark, findest du nicht.

Doch. Es riecht irgendwie nach… nach… mir fällt das richtige Wort nicht ein. 

Verwesung, sagt Schatz. 

Genau. Im Keller lag mal eine tote Maus, die roch genauso. 

Kannst du bitte anhalten, sagt sie einige Minuten später. Wir fahren gerade auf der Autobahn. Ich halte am nächsten Parkplatz. Sie steigt aus und übergibt sich.

Du, ich kann das nicht essen, sagt sie. 

OK, wir werfen es weg.

Wir stecken die Tüte in die Mülltonne. Während wir weiterfahren, öffnet Schatz die Fenster, um den Geruch aus dem Auto zu bekommen. An der Tankstelle, wo wir zuerst waren, holen wir jede Menge Knabberzeug und machen uns auf den Nachhauseweg.

Sie sind offenbar noch nicht da, sagt Schatz, weil niemand vor der Haustür steht. 

Vielleicht hat sie von den Nachbarn jemand ins Treppenhaus gelassen.

Als wir hineingehen, sehe ich, dass in unserem Briefkasten ein Stück Papier steckt. Ich ziehe es heraus. Es ist ein Fetzen Weihnachtspapier. Auf dem steht:

Haben eine halbe Stunde geklingelt und gewartet. Sind wieder nach Hause gefahren. Danke für das schöne Weihnachtsfest.

Wir gehen nach oben, setzen uns auf das Sofa, schauen Ist das Leben nicht schön  mit James Steward, trinken unseren Chardonnay und machen uns über Erdnussflips und Chips her.

Ein schönes Weihnachtsfest!


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Verfasst 24. Dezember 2019 von Simon in category "Satire", "Schatz und ich

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